Kommunalpolitik hat nicht den Ruf sich regelmäßig neu zu erfinden und innovativ über sich hinaus zu wachsen. Ihre Problemstellungen sind meist ähnlich und eher hyperlokale Verbesserungspotentiale als grundlegende Richtungsentscheidungen. Am Ende bleibt die Kommune eine Kommune, unabhängig von Gewerbesteuer, Bauverordnung und Zebrastreifendichte.
Im Angesicht großer, struktureller Veränderungen in der Art und Weise, wie unsere Leben und unser Land funktionieren steht dieser Ansatz aber vor einer Sackgasse. Klimawandel, technologischer Fortschritt und nicht zuletzt die Pandemie verändern mit beschleunigendem Tempo, wie wir leben, arbeiten und wohnen. Wir befinden uns in einem Umbruch. Dieser muss auch die Politik vor Ort erreichen. Aus verwalten muss gestalten werden.
Was sich verändert
Der klassische Dreiklang aus Wohnung, Arbeit und Freizeit wird immer mehr aufgeweicht. Egal ob Home Office, Co-Working-Space, oder Wohnsysteme abseits des klassischen Familienhausstands: Welchem Ort welche Rolle in unserem Leben zukommt ist bei weitem nicht mehr so klar, wie das früher einmal der Fall war. Gleichzeitig reduziert sich die nötige räumliche Trennung zwischen diesen Orten. Ein Büro muss im Gegensatz zu einer Fabrik nicht weit weg von Wohngebäuden sein, es emittiert weder Lärm noch Schadstoffe.
Gleichzeitig zwingt uns der Klimawandel dazu, etablierte Denkmuster zu überprüfen und aufzubrechen. Emissionsbehafteter Individualverkehr ist ein Auslaufmodell – und er wird wohl nicht vollständig in einen emissionsfreien Individualverkehr übergehen, sondern stattdessen seine Rolle im innerstädtischen Verkehr zunehmend an Alternativen wie das Fahrrad und den öffentlichen Nahverkehr verlieren. Wer dann in der Stadt noch ein Auto braucht, wird immer mehr in Erwägung ziehen es zu leihen, statt es zu besitzen.
Der Arbeitsplatz ist zudem für viele längst kein festes Büro mehr, sondern eben der Tisch, wo man gerade sein Laptop öffnet. Der Bedarf in eine spezielle Stadt zu ziehen, um dort einen Beruf ausüben zu können, wird geringer, das Land bei richtiger Gestaltung wieder attraktiver.
Gleichzeitig erleben viele große Städte heute einen enormen Bevölkerungszuwachs, der großen Druck auf den Wohnungsmarkt ausübt, die Besitzquote beim Wohneigentum ist in Deutschland im europäischen Vergleich außergewöhnlich niedrig.
Warum die Politik umdenken muss
Die zuvor angeführten Entwicklungen können nicht nur verwaltet werden, sie müssen gestaltet werden. Es verändert sich etwas grundlegendes in unseren Kommunen. Nicht jedes Haus muss mehr mit dem Auto erreichbar sein, nicht jede Wohngegend braucht Parkplätze für jeden ihrer Bewohner, nicht jedes Gebäude in einer Nachbarschaft muss einem gleichen Zweck dienen. Dadurch wird an einigen Orten neuer Platz gebraucht, wohingegen an anderen Platz frei wird. Diese Veränderungen müssen mit politischem Willen und einem Gesamtkonzept für die Zukunft gestaltet werden.
Um unsere Klimaziele zu erreichen, muss die Fahrradinfrastruktur und der ÖPNV in die Lage versetzt werden den Individualverkehr nicht nur zu ergänzen, sondern weitestgehend innerhalb unserer Städte auch zu ersetzen. Autofreie Innenstädte sind kein Schritt zu einem Umstieg auf Fahrrad und Bus, Fahrrad und Bus sind ein Schritt zu autofreien Innenstädten. Genau die sollten unser Ziel sein. Heute verwenden wir enorme Flächen in unseren Städten auf das Bewegen und Abstellen von überdimensionierten Metallkisten. Wir sehen es als normal an, dass ab unserer Wohnungstür meterweise Asphalt bis zur nächsten Hauswand den Boden versiegelt.
Grüne Schluchten zwischen den Häusern
Diese Realität will in der heutigen Kommunalpolitik kaum jemand überwinden. Hier ein Fahrradweg, dort ein neuer Baum – aber an das Grundkonzept Straße traut sich keiner heran. Können wir es nicht schaffen durch Lösungen wie Car-Sharing, Parkhäuser und alternative Verkehrsmittel den öffentlichen Raum für die Menschen zurückzugewinnen, statt ihn großflächig dem Auto zu widmen?
In einer idealisierten Stadt der Zukunft ersetzen wir nicht nur die Objekte, die auf unseren Straßen verkehren, sondern die Straßen selbst.
Wer schaut nicht gerne aus dem Fenster ins Grüne? Wenn wir es schaffen, das Auto nicht einfach zu verbieten, sondern wirklich redundant zu machen, hätten wir die Möglichkeit unsere Städte völlig anders zu gestalten. Ortsteile könnten statt eines Straßennetzes ein Gartennetz zwischen ihren Gebäuden haben. Breite Grünflächen, viele neue Bäume und gleichzeitig noch leistungsfähigere Fahrrad- und Fußgängerinfrastruktur würden grundlegend verändern, was es heißt in einer Stadt zu wohnen.
Die Folgen einer solchen Umgestaltung gingen weit über das Klima hinaus. Sie würde eine Stärkung der Luftqualität, der psychischen Gesundheit der Bürger_innen, der Insektenpopulationen, der Lärmsituation und der generellen Lebensqualität bedeuten. Es gäbe Frei- und Rückzugsräume für Kinder und Tiere direkt vor der Haustür. Straßen wären nicht mehr Gräben zwischen den Leben der Anwohner, sondern eine gemeinsam nutzbare Begegnungsfläche.
Was nötig ist
Eine solche revolutionäre Stadt kann niemand innerhalb einer Legislaturperiode auf den Weg bringen. Sie braucht gewissenhafte, grundlegende Vorarbeit. Arbeiten von Zuhause funktioniert nicht ohne gutes Internet, Nähe von Wohnen und Arbeit ist ein ferner Traum, wenn sie in der Stadtplanung nicht mitgedacht wird und die Mieten eine freie Wohnortswahl in der Stadt nicht erlauben, auf das Auto verzichten kann nur, wer mit den Alternativen trotzdem an sein Ziel kommt.
Um das alles auf den Weg zu bringen muss sich die Stellung der Kommunalpolitik verändern. Wir brauchen Gestalter_innen in unseren Kommunalparlamenten, die die Situation vor Ort kennen und die Kompetenz mitbringen sie zu verändern. Ein kommunales Mandat ist kein Trittstein in die „richtige Politik“, kein Mandat zweiter Klasse – es ist eine große, ernstzunehmende Gestaltungsaufgabe, von der unser Erfolg bei der Bewältigung der Veränderungen unserer Zeit abhängt.
Vor Ort und in unserer individuellen Lebenswelt beantworten wir, wie wir globale Herausforderungen angehen wollen.